Landeshauptstadt gedenkt der Opfer des Holocaust

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Beim Gedenken an die Opfer des Holocaust wurden Kränze niedergelegt.

Stadtdirektor Burkhard Hintzsche bei seiner Rede am Mahnmal.

Michael Szentei-Heise, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, betonte in seiner Rede, dass es kein Vergessen geben dürfe.

Ein Vertreter des Rabbinats sprach ein Gebet.

V.l.n.r.: Michael Szentei-Heise, Stadtdirektor Burkhard Hintzsche und der Vertreter des Rabbinats am Mahnmal nach der Kranzniederlegung.

Am Mahnmal am ehemaligen Güterbahnhof Derendorf wurde in Düsseldorf den Opfern des Holocaust gedacht.

Die internationale Staatengemeinschaft begeht am Samstag, 27. Januar, den Holocaust-Gedenktag, der den Opfern des nationalsozialistischen Völkermordes an den europäischen Juden gewidmet ist. Der 27. Januar, Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz (1945), wurde zugleich 1996 von dem damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum nationalen Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Seit dieser Zeit begeht auch die Landeshauptstadt Düsseldorf diesen Gedenktag mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten und Veranstaltungen.

Aus diesem Anlass hat Stadtdirektor Burkhard Hintzsche in Vertretung von Oberbürgermeister Thomas Geisel am Freitag, 26. Januar, am Mahnmal am ehemaligen Güterbahnhof Derendorf Worte des Gedenkens gesprochen und einen Kranz niederlegt. Michael Szentei-Heise, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, und ein Vertreter des Rabbinats sprachen ebenfalls und gedachten mit einem Gebet der Toten.

Der eigentliche Gedenktag am 27. Januar fällt in diesem Jahr auf einen Schabbat. Das Gedenken der Holocaust-Opfer ist eine gemeinsame Veranstaltung der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, des Erinnerungsortes Alter Schlachthof an der Hochschule Düsseldorf und der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

Ein Video zu diesem Thema finden Sie auf YouTube unter:
https://youtu.be/_CD2n830q1w

Die Rede von Stadtdirektor Burkhard Hintzsche

(es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrter Herr Szentei-Heise,
sehr geehrte Herren Rabbiner,
sehr geehrte Mitglieder und Freunde der Jüdischen Gemeinde,
sehr geehrter Herr Malinsky,
sehr geehrte Frau Tetz,
sehr geehrter Herr Rimkus,
geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen,
Verbände, Gewerkschaften und Parteien,
geehrte Vertreter aus Rat, Verwaltung und Landtag,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

am heutigen Vormittag begehen wir hier in Düsseldorf gemeinsam den internationalen Holocaust-Gedenktag. Er ist zugleich allen Opfern der NS-Herrschaft gewidmet. Da wir die Schabbatruhe respektieren und ehren, kommen wir schon heute zusammen, um gemeinsam der Toten zu gedenken.

Morgen vor 73 Jahren - am 27. Januar 1945 - verharrten noch etwa 7.500 vollkommen verängstigte, halb erfrorene und fast verhungerte Häftlinge im Konzentrationslager Auschwitz im besetzten Ostoberschlesien. Die letzten Angehörigen der SS-Wachmannschaften waren schon am Morgen geflohen.

Um fünfzehn Uhr, nach einigen Gefechten mit zurückweichenden Verbänden der Wehrmacht, erreichten die zwei ersten Rotarmisten das Tor des Vernichtungslagers Birkenau. Die beiden Männer waren Angehörige der 60. Armee der I. Ukrainischen Front. 213 ihrer Kameraden waren bei den Kämpfen um Auschwitz in den Tagen zuvor gefallen. Ihr Maschinengewehr zogen die beiden Männer auf einem Schlitten hinter sich her durch den Schnee. Ein Freudenschrei erhob sich aus der Menge der Gefangenen hinter dem Stacheldraht: "Die Russen sind da!"

Für diese Menschen war der deutsche Vernichtungs-, Raub- und Rassenkrieg an diesem Nachmittag vorbei. Der Schatten von Auschwitz aber sollte sie ein ganzes Leben lang begleiten.

Bei denjenigen Überlebenden, die heute noch unter uns sind, müssen wir sagen: Auschwitz verfolgt sie bis heute. Und wir wissen eines sehr genau: Der bewusst geplante, bürokratisch organisierte und industriell betriebene Völkermord an den Juden Europas, der Genozid an den Roma, an den Sowjetbürgern, den Millionen Polen und anderer Europäer, der Massenmord an den Männern und Frauen, die auf dem ganzen Kontinent im tapferen Widerstandskampf aktiv waren und ihr Leben für die Freiheit Europas einsetzten, dieser Mord begann hier, in unseren Städten, in unseren Straßen und vor den Augen der damaligen Bevölkerung.

Dies trifft auf den Stadtteil Derendorf besonders zu. Dieses Mahnmal, an dem wir hier stehen, wurde im April 2012 eingeweiht, um endlich einen Ort zu haben, der auf die Geschehnisse aufmerksam macht, die sich hier zwischen Oktober 1941 und Herbst 1944 zugetragen haben: Die Düsseldorfer Leitstelle der Geheimen Staatspolizei verfrachtete von dieser Stelle aus mehr als 6.400 Menschen in die Personenwaggons dritter Klasse, um sie in die Ghettos und Lager im Osten zu deportieren. Diese jüdischen Menschen waren nicht nur Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, sondern sie kamen auch aus dem westlichen Ruhrgebiet, vom Niederrhein oder aus dem Bergischen Land.

Die Internierung in den Ghettos von Litzmannstadt, Riga oder Minsk überlebten die wenigsten: Viele starben an den Lebens- und Arbeitsbedingungen, an der durch Zwangsarbeit entstandenen Erschöpfung, an Seuchen, Hunger und Krankheiten.
Doch für die meisten waren die überfüllten Ghettos nur Zwischenstationen: Sie wurden in die Vernichtungslager verschleppt und dort qualvoll ermordet. Ähnliches gilt für die von hier gestarteten Transporte, die ab 1942 dann nach Theresienstadt, Izbica oder direkt nach Auschwitz führten.

Ihr Weg von der so genannten Sammelstelle in der Großviehmarkthalle des städtischen Schlachthofes bis hier zu den Verladerampen des Güterbahnhofs war gesäumt von Passanten, die genau sehen konnten, was hier geschah: Sie haben mit-gewusst, mit-gesehen, mit-profitiert und mit-geholfen am Mord an ihren einstigen Nachbarn, Arbeitskollegen, Bekannten.

Meine Damen und Herren, je öfter wir von diesen Verbrechen hören, je mehr wir auch über diese regionale Geschichte der Deportationen erfahren, je mehr wir forschen und weitere Details ans Licht bringen: Das Unverständnis und die Fassungslosigkeit nehmen nicht ab. Sie werden größer, und niemand von uns, weder Sie noch ich, haben eine wirkliche Vorstellung davon, welche menschlichen Dramen von Trennung und Abschied, von Leben und Tod sich hier auf diesen Güterrampen vollzogen haben. Wir stehen nur da und können es ansatzweise erahnen, was dies alles für die Betroffenen bedeutete. Im Nachhinein ändern können wir es leider nicht. Das Gedenken, das würdevolle Erinnern und das Lernen über und aus der Geschichte sind das Einzige, was wir Heutigen zu leisten im Stande sind.

Es ist mir daher am heutigen traurigen Tag ein kleiner Trost, dass dieses aktive Gedenken und die Erinnerungsarbeit in unserer Stadt einen so großen und ernsthaften Stellenwert haben.

Das heutige Erinnern an die Opfer des Holocaust ist aber auch eingetrübt: Vom Hass, den es immer noch gibt; vom Antisemitismus, der in allen möglichen Formen und Medien seinen Ausdruck findet; von der Hetze, die nicht mehr nur in den Gossen und Kneipen, sondern auch im Internet und in vielen Parlamenten Einzug gehalten hat; das Erinnern ist eingetrübt von der Erkenntnis, dass unsere Demokratie immer noch Feinde hat; eingetrübt vom Weiterleben des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit. Das alles ist es, was uns heute hier im Januar 2018 Sorgenfalten bereitet.

Was wir heute leisten können, das sind das unüberhörbare Aussprechen der geschichtlichen Fakten und die klare Haltung unserer Gegenwart gegenüber, das Lernen mit jungen Menschen und die Übernahme von Verantwortung in Gegenwart und Zukunft - Verantwortung dafür, dass sich diese unvorstellbaren Verbrechen, für die dieser Ort hier sinnbildlich steht, niemals wiederholen können.

Ich danke Ihnen.

Hintergrund: Mahnmal am ehemaligen Güterbahnhof Derendorf

Das 2012 eingeweihte Schienenmahnmal am ehemaligen Güterbahnhof Derendorf ist als ein tiefer Schnitt in die neu gestaltete Fläche des ehemaligen Güterbahnhofs zu begreifen. Es symbolisiert einen Einschnitt in die Düsseldorfer Stadtgeschichte und eine offene Wunde der jüngsten Vergangenheit. Auf einer stählernen Wand liest man die Namen der Zielorte der Deportationen: von Düsseldorf als Ausgangspunkt sind dies die Orte Theresienstadt und Litzmannstadt, Auschwitz, Riga, Minsk und Izbica. Die Namen der Zielorte sind von Rost umgeben, der für die Vergänglichkeit der Erinnerung steht. Die in Schwarz abgesetzten Namen selbst sind hingegen unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt. Die original erhaltenen Eisenbahnschienen, die hölzernen Bahnschwellen im Boden und eine Informationsstele mit einem erklärenden Text bilden zusammen ein Ensemble.