DAS CABINET DES DR. CALIGARI feiert sein 100. Jubiläum, bis in die letzte Reihe ist jeder der Plätze der Black Box belegt, das Kino im Filmmuseum Düsseldorf ausverkauft. Doch die Besucherinnen und Besucher kamen nicht nur für Robert Wienes Stummfilmklassiker. Der bekannte Musiker Wilfried Kaets hatte eigens eine neue Musikfassung geschrieben, die er am Klavier, mit Live-Elektronik, Schlagwerk sowie an der Welte-Kinoorgel vertonte. Die seltene Kinoorgel ist nach wie vor eine große Attraktion des Black Box-Kinos und des Filmmuseums – heute wie vor 35 Jahren, als sie nach einer aufwendigen Restaurierung zu BERLIN – DIE SINFONIE DER GROSSSTADT erstmals wieder bespielt wurde. Oberbürgermeister Klaus Bungert sprach zur Einweihung am 12. Januar 1986 in der Black Box, damals noch in der Kasernenstraße, von „einem der wesentlichsten Ereignisse in der jüngeren Düsseldorfer Filmgeschichte“.

Die Welte-Kinoorgel zieht immer noch Besucherinnen und Besucher aus aller Welt an, eine erneute Restaurierung und Überholung erfolgte 2012. Ihr Orgelwerk kann nicht nur in den mehrmals jährlich stattfindenden Live-Vertonungen gehört, sondern auch in Führungen oder sogar vom Vorplatz des Museums aus „von Nahem“ bewundert werden. Hier ermöglicht ein Sichtfenster einen Blick auf das hinter der Kinoleinwand in einer separaten Kammer installierte Instrument. Über die ganze Breite des Saales wurde eine geschlossene Wand, bestehend aus starker Rahmenkonstruktion mit beidseitiger Verblendung und innerer Verdämmung errichtet, der Klang kann über zwei mit Jalousieschwellen versehenen Öffnung austreten. Auf diese Weise wurden eine gute Erhaltung und der Schutz vor klimatischen Einflüssen sichergestellt.

Denn in Anbetracht der lange zurückliegenden und aufgrund der Einführung des Tonfilms später durchwachsenen Erfolgsgeschichte der Kino-Orgel handelt es sich bei der 1928/29 erbauten und 1930 eingeweihten Orgel um ein sehr seltenes Exemplar, das zuvor zum Wiesbadener Walhalla-Theater gehörte und1980 vom Filmmuseum Düsseldorf erworben wurde. Nur wenige dieser kulturhistorisch bedeutenden Instrumente sind bis heute erhalten geblieben und in Benutzung.

Begründer der Firma M. Welte & Söhne war 1833 der im Schwarzwald geborene und bei dem bekannten Musikwerkemacher Jakob Blessing in Lehre gegangene Michael Welte. In einer eigenen Werkstatt fertigte er zunächst kleinere Musikwerke – worunter selbstspielende, d.h. automatisch gesteuerte Musikinstrumente verstanden werden – und Spieluhren an, um sich bald in Auftrag von Fürsten- und Königshäusern dem Bau ganzer Orchestrien zuzuwenden. Nach dem Tod Michael Weltes führten seine Söhne Berthold, Michael und Edwin die Firma nun mit Sitz in Freiburg fort und konnten nach der Jahrhundertwende erneut große Erfolge feiern. Grund hierfür war die Konstruktion von Reproduktionsklavieren (Welte-Mignon, 1904) und das innovative Verfahren, das Originalklavierspiel auf Lochstreifen aufzuzeichnen, lange vor der Erfindung der Schallplatte. Erst die Entwicklung des Grammophons sollte die Musikwerkeindustrie in eine Krise stürzen, von der sie sich zumindest zeitweilig, v.a. dank des aufkommenden Stummfilms retten konnte.

Für Stummfilm-Vorführungen entwickelte die Firma M. Welte & Söhne eine speziell für Theater entwickelte Kino-Orgel, welche dank einer neuen Disposition die Funktionen und Füllstimmen eines ganzen Orchesters (üblicherweise von 6 bis 12 Musikerinnen und Musiker) übernehmen konnte. Diese Kino-Orgel verfügt über eine elektro-pneumatische Spieltraktur und arbeitet im Gegensatz zu Kirchen- oder Konzertorgeln mit einem wesentlich erhöhten Winddruck (etwa 16m3/Min.), um die Klangfarben möglichst vieler Orchesterinstrumente nachahmen zu können. Dank der Elektrizität fand bei der Kino-Orgel das sogenannte Multiplexsystem, eine Mehrfachnutzung der insgesamt 1200 Pfeifen, Anwendung. Hierbei werden aus Grundklangreihen neue Register herausgezogen, eine erhöhte Anzahl von Registern demnach auf kleinem Raum ermöglicht. Ihr Klang kann anschließend durch eine Pedalbedienung und einen  Registerschweller gesteuert werden.

Zu den Besonderheiten der Kino-Orgel zählen außerdem der Tremulant, der die Pfeifenluft in Schwingungen versetzt und somit das Vibrato der Streicher imitieren soll und für einen belebteren Ton sorgt sowie die spezielle Anordnung der Orgelpfeifen, die vom Spieltisch nicht direkt, sondern über den Umweg des außerhalb befindlichen Relais- bzw. Schaltschrankes angespielt werden. Viele dieser Instrumente enthielten zudem zusätzliche Einrichtungen mit gelochten Notenrollen, was bei Szenenwechseln eine schnelle Anpassung und den Musikerinnen und Musikern Raum für Improvisation und das Spiel mit Beiwerk und Effekten ermöglichte.

Seien es Gewitter aus Blitz, Donner und Regen, das Rauschen des Meeres, Schneegestöber oder die Geräusche des auch im frühen Film Einzug findenden Lebens der (großstädtischen) Moderne wie Alarmsignale, das Pfeifen der Eisenbahn oder Schiffssirenen: Mit Glocken, Schellen, Becken, Trommel oder Pauke lassen sich die unterschiedlichsten Effekte kreieren, die zur Steigerung der filmischen Illusion beitragen: „Die Verwendung der Kinoeffekte gestattet uns, dem Film ein naturgetreues Relief zu geben und beispielsweise Stürme hervorzubringen, die im Zuschauer die Illusion erwecken, als stände er inmitten der aufrührerischen Elemente.“ (Dr. Jürgen Hocker, Präsident der „Gesellschaft für selbstspielende Musikinstrumente e.V.“)

Das Filmmuseum Düsseldorf und die Black Box tragen der Bedeutung dieser seltenen und von der Landesregierung als technisches Denkmal eingestuften Kino-Orgel mit ihren mehrmals jährlich stattfindenden und von verschiedenen Organist*innen begleiteten Stummfilm-Vorführungen Rechnung und bringen sie in speziellen Führungen den Besucherinnen und Besucher näher. Die nächsten Jubiläen großer Stummfilmklassiker sind bereits geplant.

 

Technische Daten

  • Hersteller
    Michael Welte & Söhne, Orgelbauanstalt, Freiburg i. Br.
  • Baujahr
    etwa 1928
  • Spiel- und Registertraktur
    elektro-pneumatisch (11 Volt und 300mm Winddruck)
  • Windladensystem
    Kastenlade (Multiplex), liegende Ventiltaschen, Einzeltonansteuerung durch doppelspulige Hufeisenmagnete
  • Ventilator
    Firma Meidinger, Basel (3 PS)
  • Wind-Leistung
    etwa 16m3/Min
  • Effekte
    Kleine Sirene, Schiffssirene, Telefon, Alarmsignal, Claxon, Lokomotivpfiff, Eisenbahn, Wassergeräusch, Regen, Sturm, Donner, Vogelgesang I und II, große Glocke, Glockengeläute, Gongwirbel, Gong schwach, Gong stark, große Trommel, Becken stark, kleine Trommel I und II, Schlittenschellen, Holzblock, Kastagnetten, Tamburin, Becken, Pauke