Ministerpräsident Laschet und OB Geisel stellen "Gedenkbuch" vor

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Bei der Vorstellung des Buches über die Progromnacht in Nordrhein-Westfalen: (von links) Dr. Bastian Fleermann, Ministerpräsident Armin Laschet, Immo Schatzschneider, Hildegard Jakobs, Gerd Genger und OB Thomas Geisel. Foto: Gstettenbauer

Der Novemberpogrom 1938 forderte in Nordrhein-Westfalen mehr Opfer als bisher angenommen. Es sind 263 akribisch recherchierte Seiten, die Licht in eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte bringen und an die Opfer des Novemberpogroms erinnern: Die Mahn- und Gedenkstätte der Landeshauptstadt Düsseldorf, der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und Oberbürgermeister Thomas Geisel haben am Dienstag, 5. November, das "Gedenkbuch für die Toten des Pogroms 1938 auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen" vorgestellt.

Das 263-seitige Buch, das nun im Düsseldorfer Droste-Verlag erschienen ist, ist dem Andenken an die mindestens 131 Männer und Frauen gewidmet, die aufgrund der Novemberpogrome ihr Leben verloren, die ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. Das Gedenkbuch beruht auf einem landesweiten Forschungsprojekt, das 2017/2018 von der Mahn- und Gedenkstätte durchgeführt wurde, und an dem hunderte Archive und Gedenkstätten im Land Nordrhein-Westfalen mitwirkten. Das Projekt wurde durch die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt. Verfasst wurde das daraus entstandene Gedenkbuch von Gerd Genger, Hildegard Jakobs, Immo Schatzschneider und Dr. Bastian Fleermann. Das Buch wird zukünftig auch im neuen Schriftenprogramm der Landeszentrale erscheinen.

Ministerpräsident Armin Laschet: "Das Schicksal der Opfer der Pogromnacht erfüllt uns noch heute mit Scham und Entsetzen. Ihnen sind wir es schuldig, Judenhass und Gewalt gegen Minderheiten entschlossen entgegenzutreten und die jüdische Gemeinschaft in unserer Mitte zu schützen." Der Ministerpräsident weiter: "Das Gedenkbuch ist eine Mahnung, wie weit Hass und Hetze gehen können. Unsere Demokratie und unsere Gesellschaft müssen gegen Antisemitismus, gegen Hass und die Parolen der Rechtsextremisten verteidigt werden. Das ist Aufgabe für uns alle. Die gemeinsame Botschaft an alle, die Antisemitismus verharmlosen oder verbreiten und Jüdinnen und Juden in unserem Lande bedrohen, lautet: Nie wieder!"

"Das Gedenkbuch und das landesweite Forschungsprojekt zeigen einmal mehr, wie wichtig und wertvoll die Arbeit unserer Mahn- und Gedenkstätte ist: Mit dem Projekt konnte erstmals umfassend beleuchtet werden, welches grausame Ausmaß die Pogromnacht in NRW in Wirklichkeit hatte - ein viel größeres als bisher angenommen. Zudem gibt die Gedenkstätte mit dem nun erschienenen Buch jedem Opfer, jedem Schicksal ein Gesicht und ein angemessenes Gedenken. Für diese großartige Arbeit möchte ich mich bei dem Team bedanken", so Oberbürgermeister Thomas Geisel bei der Vorstellung.


Zu den Hintergründen

Zu den Pogromen vom Herbst 1938 ist in den vergangenen 30 Jahren viel stadt- und lokalgeschichtlich aufgearbeitet worden, etliche Studien und Dokumentationen sind erschienen. Zu einem großen Teil waren und sind diese Publikationen auf lokale Akteure und bürgerschaftliche Initiativen zurückzuführen: auf Schülerprojekte, auf örtliche Gedenkstätten, Stadtarchive, Jugendgruppen oder Geschichtswerkstätten. Neben den zerstörten Synagogen und den Verwüstungen von Wohnungen, Ladenlokalen oder Arztpraxen standen immer auch die Gewaltakte gegen jüdische Menschen im Mittelpunkt solcher Untersuchungen. Zumeist konnte rekonstruiert werden, welche Personen durch Mord, schwere Verletzungen, Schock oder Suizid ihr Leben verloren.

Die Mahn- und Gedenkstätte der Landeshauptstadt Düsseldorf hat in den Jahren 2017 und 2018 in einem Landesprojekt die Gesamtzahl und die Namen derjenigen Personen für das ganze heutige Land Nordrhein-Westfalen erforscht, die im Kontext der Pogrome starben oder ermordet wurden. Die Ergebnisse mündeten im November 2018 in einer ersten Manuskriptfassung, die nun in Form eines Gedenkbuches publiziert wird.

Bagatellisierung der Ereignisse

"Bei der Recherche und der Zusammenstellung der Opfer ist deutlich geworden, dass unser Verständnis und auch die Darstellung der Pogromnacht in Wissenschaft und Unterricht einer starken Bagatellisierung der Ereignisse gleicht: Sehr viel mehr Menschen wurden ermordet oder in den Selbstmord getrieben als man bisher annahm", so Gedenkstättenleiter Fleermann. Zugleich ist bei den Recherchen vielfältiges Material erschlossen worden. Damit lassen sich viele für das historisch politische Lernen wichtige Fragen genauer und konkreter stellen und beantworten.

Das von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen mitgetragene Projekt verfolgte zunächst einmal das Ziel, die Ermordeten des Herbstes 1938 namentlich zu identifizieren, um sie angemessen zu würdigen und ihrer zu gedenken, und die Ergebnisse jahrzehntelanger Lokal- und Regionalforschung erstmalig zusammenzufassen. Zurückgegriffen werden hierbei in einer systematischen Auswertung auf Archivalien in den 430 Kreis- und Kommunalarchiven (Sterberegister, Meldedaten), auf die bestehende Literatur (Aufsätze und Bücher zur deutschjüdischen Lokalgeschichte) sowie auf Hinweise in Online-Datenbanken. Die bisherige Darstellung der Novemberpogrome ging von 100 oder 500 Toten aus (reichsweit). Hier ist eine notwendige Korrektur angebracht. Für die Landesregierung und die am Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen angesiedelte Landeszentrale für politische Bildung ist jedoch entscheidend, welche Schlüsse aus den Novemberpogromen von 1938 für das politisch-historische Lernen und die politische Bildungsarbeit gezogen werden können.

Eskalation und Grenzverschiebung

Der Pogrom als öffentlich wahrnehmbare Eskalationsstufe und Scharnier von beziehungsweise zwischen der Ausgrenzung (1933-1938) bis zum Holocaust (1941-1945) hat letztlich auch im Sinne des NS-Regimes herausgestellt, wie "weit" es bei der Verfolgung der jüdischen Minderheit gehen konnte und wie hoch die Toleranz gegenüber der staatlich gelenkten Gewalt ausgeprägt war. Hierbei stellt sich nach wie vor die Frage: War der Pogrom "spontan" oder gelenkt - oder beides? Die Gleichzeitigkeit von Systematik und Exzess, Planung und Eskalation, Normenstaat und gewalttätiger Maßnahme oder "Aktion" scheint typisch für die gesamte NS-Politik.

Vorbildcharakter des landesweiten Projekts

Die Landeszentrale hat das Projekt auch deshalb gefördert, weil die Befunde gewissermaßen zu allen Bundesländern fehlen und Nordrhein-Westfalen hier beispielgebend einen Pilotcharakter verfolgt, um Ähnliches in anderen Bundesländern anzustoßen oder zu inspirieren. Ziel könnte es sein, dass die Bundesrepublik und Österreich mittelfristig in Zukunft alle Toten der Novemberpogrome identifizieren könnten.