Straßentheater in Barcelona. Foto: Gerhard Krauskopf
Bertolt Brecht hat die Kunst des Zuschauens als die andere unverzichtbare Kunstform des Theaters neben der darstellenden Kunst definiert. Theaterkunst vollzieht sich im Angesicht ihrer Zuschauer. Vor ihren Augen entsteht und vergeht das theatralische Kunstwerk. Die Leistung der Darsteller verändert sich dabei mit der Qualität des Zuschauens.
Brecht unterscheidet zwischen "Glotzen" und "Sehen", Goethe zwischen dem "Liebhaber" und dem "Kenner" im Publikum. Aber nicht nur die Qualität des Betrachtens von symbolischen Handlungen ist Veränderungen unterworfen, sondern auch die Zwecke.
Im ursprünglichen, religiösen Ritual treten die Protagonisten aus dem Kreis der Zuschauer, fügen sich ihm wieder ein, tauschen den Platz mit einem anderen Beteiligten. Die Straße ist der moderne Ort des Spiels, in dem der Flaneur zum Zuschauer wird, um diese Funktion im Weitergehen wieder aufzugeben.
Mit den antiken Theatern wird zum ersten Mal ein "Spiel-Ort" definiert und nur zu diesem Zweck errichtet. Die Technik des Zusehens und Zuhörens befindet sich auf ihrem Höhepunkt.
Das Rangtheater der fürstlichen Höfe lenkt mit seiner Architektur den Blick auf die Bühne wie auf den Fürsten oder den Mitzuschauer. Hier wird ein Gebäude nur zum Schauen geschaffen. Die Lichttechnik, der Wechsel von Hell und Dunkel versetzt den Zuschauer aus seiner eigenen Welt in eine fremde. Im verdunkelten Zuschauerraum ist der Zuschauer allein mit sich und der Handlung auf der Bühne, ebenso wie das Publikum dem Blick des Schauspielers entzogen ist. Das Publikum verbirgt sich in der Anonymität des Dunkels.
Diese anonyme Masse setzt sich aus Individuen zusammen - mit individuellen Empfindungen, Reaktionen, "Handlungen", denn auch das Publikum "handelt":
Es bereitet sich vor auf das Theater, es stimmt sich ein, es legt ein Kostüm an. Es nimmt seinen Platz ein, es bildet Muster und Strukturen, es folgt Choreografien.
Die Handlung erregt seine Emotionen, die sich ablesen lassen an Mimik und Gestik. Die Zuschauer wenden sich einander zu, reagieren aufeinander, ziehen sich in sich zurück, erleben Schönheit und Ekstase.
All' das ist bekannt, erlebt, beschrieben. Dennoch herrscht das Bild des Publikums als einer passiven, willenlosen, bloß reagierenden Masse vor.
Mit der Ausstellung "BlickWechsel" treten zum ersten Mal Fotografen als Dokumentare und Zeugen dafür an, dass das Publikum handelt, dass es lebendiger Bestandteil des kommunikativen Prozesses ist. Die Mitglieder der Royal Photographic Society haben es gewagt, dieses Neuland zu betreten, und haben damit nicht nur die Fotografie um ein wesentliches Sujet bereichert, sondern auch der Theatertheorie einen Dienst erwiesen.